Alfred Wickenburg
Biografie
Alfred Adinolf Capello Reichsgraf von Wickenburg wurde am 26. Juli 1885 in Bad Gleichenberg geboren, jenem Ort in der Steiermark, den sein Großvater 1834 gegründet hatte.
Seine künstlerische Ausbildung begann in München an der renommierten Mal- und Zeichenschule des slowenischen Malers Anton Ažbe. Hier erlernte er von 1904 bis 1905 die technischen Grundlagen. In München, einem Zentrum internationaler Kunst, konnte er sich mit aktuellen Strömungen auseinandersetzen; durch den Einfluss Ažbes vor allem mit den Arbeiten Paul Gauguins, Edvard Munchs und Hans von Marées’.
Im Sommer 1905 besuchte Wickenburg Adolf Hölzels Malschule in der Dachauer Künstlerkolonie. Die wichtigsten künstlerischen Elemente von dessen Lehrprogramm waren Linie, Form, Hell-Dunkel und Farbe, wobei letztere als wesentliches Element eines Bildes betrachtet wurde. Hölzels Lehre wurde durch viele seiner Schülerinnen und Schüler weitertradiert, so auch durch Wickenburg, in dessen gesamtem Schaffen sich die Auseinandersetzung mit Hölzel manifestiert.
Als Hölzel im Dezember 1905 an die Stuttgarter Akademie berufen wurde, folgten ihm einige seiner Schülerinnen und Schüler aus Dachau. Auch Wickenburg wünschte weiterhin bei ihm Unterricht nehmen zu können, wurde allerdings zunächst nicht an der Akademie aufgenommen. Er wandte sich daher anderen Studienmöglichkeiten zu und nahm in Paris an der renommierten Académie Julian Zeichenunterricht. Wickenburg verbesserte in diesem Umfeld nicht nur seine technischen Fertigkeiten, sondern erlebte auch die bahnbrechenden neuen Entwicklungen innerhalb der Kunst mit.
Durch den Einsatz Hölzels war es Wickenburg im Jahr 1909 möglich, an die Akademie in Stuttgart zu wechseln. Als Voraussetzung, um in die Komponierklasse seines früheren Lehrers eintreten zu können, galt es allerdings, die Mal- und Zeichenklasse von Christian Landenberger zu absolvieren, der für seine stimmungshaften Bilder bekannt war. Zu Wickenburgs Mitstudierenden an der Akademie zählten u. a. Johannes Itten, Willi Baumeister und Oskar Schlemmer.
Jene Arbeiten Wickenburgs, die während der Studienjahre entstanden, sind Zeugnisse der Auseinandersetzung mit den malerischen Werken seiner Lehrer, deren koloristische und stilistische Ausführungen er sich zum Teil zu eigen machte. Sie veranschaulichen zudem einen Diskurs zu vergangener und aktueller Kunst, der auf den Unterricht Hölzels zurückzuführen ist, in dem das Theoretisieren vor Originalen einen wichtigen Bestandteil bildete.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich Wickenburg zum Kriegsdienst, und seine Ausbildung in Stuttgart fand ein Ende. Nach dem Krieg war Wickenburg aufgrund familiärer Umstände mittellos. Diese veränderte finanzielle Situation hinderte ihn allerdings nicht daran, seine künstlerischen Ambitionen weiterzuverfolgen. Von 1919 bis 1923 lebte er in Italien, wo er sich mit den konstruktiven Formen des Kubismus, mit den Theorien der Futuristen sowie mit den Intentionen der Pittura metafisica beschäftigte. Dieses Land war ihm sein ganzes Leben hindurch ein wichtiger Bezugspunkt und mit seiner Atmosphäre, seinen Farben und seinen Motiven eine Inspirationsquelle.
Im Jahr 1923 kehrte Wickenburg nach Österreich zurück, wo er die Grazer Sezession mitbegründete. Er trug wesentlich zur Weltoffenheit sowie zu den internationalen Erfolgen dieser Künstlervereinigung bei. Durch seine Bemühungen in der Auseinandersetzung mit der internationalen Kunst avancierte er zu einer der Leitfiguren der steirischen Avantgarde und muss als eine jener Persönlichkeiten innerhalb der österreichischen Kunstlandschaft angesehen werden, die den Weg in Richtung abstrakter und in weiterer Folge ungegenständlicher Malerei ebneten.
Durch seine Lehrtätigkeit übte Wickenburg großen Einfluss auf eine jüngere Künstlergeneration aus: zunächst ab 1935 als Leiter der Abteilung für Stillleben- und Landschaftsmalerei an der Landeskunstschule in Graz und, nach Auflösung dieses Instituts, ab 1937 an der Landesmeisterschule für Freskomalerei am Ortweinplatz in Graz. Ebenso erteilte er Privatunterricht.
Die Arbeit des mittlerweile gefestigten Künstlers zeichnete sich durch eine Synthese verschiedener stilistischer Mittel aus, die er weiterhin auch zeitgenössischen Richtungen entnahm. Wickenburg arbeitete expressiv, übernahm Methoden des Kubismus wie auch der Neuen Sachlichkeit. Seine Gemälde geben zudem Aufschluss über seine Beschäftigung mit einzelnen Künstlerpersönlichkeiten wie etwa Paul Cézanne, Pablo Picasso und Max Beckmann.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde Wickenburg zwar kein Malverbot erteilt, Repressionen waren für ihn dennoch spürbar. So wurden beispielsweise die von ihm 1930 gestalteten Fresken in der Grazer Arbeiterkammer übertüncht.
Finanzielle Nöte, die Auflösung der Grazer Sezession und eine Erkrankung seiner Frau Elisabeth, die 1940 zu deren Tod führte, ließen ihn zusammen mit seinem Sohn schwere Schicksalsjahre durchleben.
Als er vier Jahre später die Chemikerin Friederike Jele heiratete, fand Wickenburg nicht nur zu seelischer, sondern auch zu finanzieller Stabilität zurück, und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte er sich intensiv auf neue künstlerische Wege begeben: So verstärkte er etwa die flächige Malweise und experimentierte mit der Reduktion von Perspektive und Tiefenräumlichkeit. Wie bisher analysierte er vergangene und zeitgenössische Kunst, um sie inhaltlich, stilistisch oder formal miteinander zu verknüpfen. Intensiv beschäftigte er sich wieder mit der Kunst Picassos, Anregungen erhielt er u. a. durch Werke von Marc Chagall und Fernand Léger.
Die wiedererstarkte Schaffenskraft und die künstlerische Begeisterung im Spätwerk Wickenburgs werden nicht nur in Gemälden und Zeichnungen, sondern auch in Wandbildern und Glasfenstern fassbar. Sicherlich beeinflusst durch die farbigen Möglichkeiten von Glas und Licht steigerte er die Leuchtkraft der Farben in seinen Gemälden – immer deutlicher wird die Neigung zu starken Kontrasten und Formreduktionen. Wickenburgs Gemälde zeigen seine Erlebnisse in der Wahrnehmung von Farben und Formen. Er griff eine Fülle von Themen wieder auf, die er viel früher in Zeichnungen vorbereitet hatte.
Nach Kriegsende wurde die Grazer Sezession mit Wickenburg als Präsident neu gegründet. Wickenburg übernahm die Leitung der Freskoabteilung an der Ortweinschule, zudem wurde er Mitglied der Wiener Secession und des Art-Clubs, in dem er von 1949 bis 1950 im leitenden Komitee verzeichnet ist und sich aktiv für jüngere Künstlerinnen und Künstler einsetzte.
Wickenburg erhielt zahlreiche Ehrungen, u. a. wurde er 1951 Mitglied der Jury für den österreichischen Staatspreis, 1952 österreichischer Delegierter bei der UNESCO in Venedig, 1957 wurde er in den Österreichischen Kunstsenat berufen und 1973 zu dessen Ehrenmitglied ernannt. 1972 erhielt der Künstler den Würdigungspreis des Landes Steiermark für bildende Künste.
Wickenburg verstarb 1978 im Alter von 93 Jahren in Graz. Er war bis zu seinem Lebensende voller Schaffenskraft künstlerisch tätig gewesen.
Lucia Beck, 2016