Alfred Wickenburg
Vorwort
Der Grazer Künstler Alfred Wickenburg (1885–1978) gehört zu den Wegbereitern der klassischen Moderne in Österreich. Mit seinem Schaffen, das vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts reicht und von einer Vielfalt an Stilmitteln sowie einer Fülle an Techniken geprägt ist, leistete er einen bedeutenden Beitrag zur Geschichte der österreichischen Malerei. In seinen Werken sind Elemente des Expressionismus, Fauvismus, Kubismus, Futurismus und der Neuen Sachlichkeit zu finden. Durch seine kosmopolitische Weltanschauung, die man bereits in der Wahl seiner europaweiten Ausbildungsstätten erkennt, wurde er zum Vermittler internationaler Kunstströmungen innerhalb der österreichischen Kunstszene.
Geboren als Alfred Adinolf Capello Reichsgraf von Wickenburg entstammte er einer steirischen Adelsfamilie. Früh entschied er sich, den unabhängigen Weg eines Künstlers zu beschreiten. Er studierte in Dachau bei Adolf Hölzel und in München bei Anton Ažbe, bevor ihn sein Weg an die Akademien von Paris und Stuttgart führte. Nach dem Ersten Weltkrieg unternahm er eine mehrjährige Studienreise durch Italien und ließ sich anschließend ab 1923 in Graz nieder. Als Gründungsmitglied der Grazer Sezession avancierte er nach 1945 zum wichtigsten Vertreter der Moderne in der Steiermark. Er analysierte das Zusammenspiel und die Wertigkeiten von Form, Farbe, Linie und Fläche. Zahlreiche Auszeichnungen der Republik und die Berufung in Jurys und Fachdelegationen zeugen von der hohen Anerkennung, die man ihm zu Lebzeiten zuteilwerden ließ. Die dokumentierten Ausstellungen belegen seine starke Präsenz im nationalen und internationalen Kunstbetrieb. Seine Arbeiten wurden viermal im Rahmen der Biennale in Venedig (1934, 1936, 1950 und 1958) gezeigt und waren zudem bei Einzel- und Gruppenausstellungen in Städten wie Berlin, Paris, New York, Bern, Rom und London zu sehen.
In Auseinandersetzung mit Werken internationaler Kunstschaffender eignete er sich eine individuelle Gestaltungweise an, in der die Farbe eine essenzielle Rolle übernimmt. Bis ins hohe Alter reichte Wickenburgs Schöpfungskraft, deren Resultate in der Malerei, Glaskunst und Wandgestaltung nun erstmals gesammelt in einer Publikation präsentiert werden können. Die Gattung Gemälde nimmt in seinem Œuvre eine wichtige Position ein. In seiner Ölmalerei fasste er seinen ganzen Erfahrungsschatz auf dem Gebiet der Formen und Farben zusammen: hier zeigt sich die Entwicklung zur starken Farbigkeit und seine Ergebnisse innerhalb der Formanalyse. Seine intensive Beschäftigung mit dem Formen- und Farbenreichtum speziell der Natur inspirierte ihn zu zeichnerischen Experimenten. Wickenburgs Gesamtschaffen kann man nur gerecht werden kann, wenn man auch die Fülle an Papierarbeiten betrachtet, die in diesem Verzeichnis online veröffentlicht sind.
Es war seine Gestaltungsweise mittels Farbflächen, die ihn zur Arbeit mit Glas und zur Wandmalerei drängte, und so entstanden nach 1945 auf diesem Gebiet monumentale Kunstwerke von beeindruckender Wirkung. In Zusammenhang mit diesen Werkgruppen steht auch seine bisher kaum untersuchte Lehrtätigkeit an mehreren Institutionen in Graz. Sein kunsthistorisches Wissen und seine Kenntnisse der Kunsttheorien sowie seine Fähigkeit, aus der Tradition Impulse für sein eigenes Werk zu gewinnen, ließen ihn als Lehrer eine prägende Position in der steiermärkischen Kultur einnehmen.
Es ist mir eine außerordentliche Freude, dass mit dieser Forschungsarbeit zu Alfred Wickenburg nicht nur seine bedeutende Stellung innerhalb der österreichischen Nachkriegskunst aufgezeigt wird, sondern auch ein Künstler präsentiert werden kann, der einen besonderen Bezug zu unserer Institution aufweist: Dank der großzügigen Unterstützung der Familie Wickenburg befinden sich seit einigen Jahren bedeutende Werke als Dauerleihgabe sowie, in Form einer Schenkung, auch umfangreiche Archivalien im Belvedere. Die wissenschaftliche Auswertung dieses Fundus ist in die vorliegende Publikation eingeflossen. Es ist dem Vertrauen und dem Engagement der Familie Wickenburg, im Besonderen Henriette Gorton-Wickenburgs, zu verdanken, dass im Jahr 2014 die Arbeiten an einem umfassenden Catalogue raisonné aufgenommen werden konnten. An dieser Stelle gilt mein herzlicher Dank Lucia Beck vom Research Center des Belvedere für die fachlich kundige Betreuung des Werkverzeichnisses. Sie hat das Projekt von Anfang bis Ende mit großem Engagement betreut. Weiterer Dank gebührt allen Privatsammlerinnen und -sammlern, die ihre hoch geschätzten Arbeiten des Künstlers, mit denen sie häufig seit mehreren Generationen verbunden sind, zur Dokumentation zur Verfügung stellten. Ebenso wurde von zahlreichen Kulturorganisationen, die Werke Wickenburgs oder Archivmaterial zu ihm beherbergen, große Unterstützung geboten. Eine Fülle an Anregungen durch die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Belvedere, hier sind vor allem Kerstin Jesse und Alexander Klee zu nennen, führten zu der Finalisierung dieses Projekts. Mit dem vorliegenden Werkverzeichnis ist ein Kompendium entstanden, das erstmals alle Werkgattungen innerhalb von Wickenburgs Œuvre – Gemälde, Wandbilder, Glasfenster sowie in dieser vorliegenden Online-Publikation auch Arbeiten auf Papier – vereint.
Stella Rollig
Österreichische Galerie Belvedere, Wien