Carl Moll
Vorwort
Zur außergewöhnlich langen Schaffensperiode von Carl Moll – sie umfasst etwa 65 Jahre – gehören zunächst die durch die Secessionsgründung geprägten Jahre des Fin de Siècle am Beginn der Wiener Moderne, gefolgt vom Zusammenbruch der Habsburgermonarchie, von der Ersten Republik und deren Ende durch den „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland sowie vom Zweiten Weltkrieg. Betrachtet man Molls malerische Entwicklung in diesem großen Zeitraum, macht man die erstaunliche Feststellung, dass die historischen Turbulenzen keinen Niederschlag in seinem durchwegs von hoher Qualität bestimmten OEuvre fanden. Wesentliche Entwicklungen der Kunst wie die Genese des Wiener Jugendstils, die Idee des Gesamtkunstwerks und die konstante Orientierung an der westlichen Moderne – am Impressionismus, Neo- und Postimpressionismus und schließlich die Offenheit gegenüber expressionistischen Tendenzen – waren für ihn und sein malerisches Werk prägender als die weitgehenden politischen Umwälzungen seiner Zeit.
Zusammen mit Freunden, allen voran mit Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann, förderte Carl Moll den künstlerischen Dialog mit Reformbestrebungen der aufgeschlossenen Bourgeoisie mit ihrem hohen Anteil an jüdischen Persönlichkeiten. Dieser geistige Austausch begünstigte die Kulturblüte der Jahrhundertwende. Die kulturelle Leistung dieser kunstsinnigen Mäzene, darunter beispielsweise Berta Zuckerkandl oder Ludwig Hevesi, und ihre Ideen für die Durchsetzung der Moderne werden in Molls Malerei anschaulich. Die Gesprächskultur im Freundeskreis und das dort entstandene innovative Gedankengut prägten seine programmatische Arbeit als Präsident der Secession und als Leiter der Galerie Miethke sowie sein Engagement für die beiden Kunstschauen 1908 und 1909. Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, die Familien Zierer, Hellmann, Redlich und Gallia zählten zu seinem Sammler- und Freundeskreis. Molls gemalte Innenräume bildeten ein anonymisiertes Pendant zu Klimts Damenporträts. Seine impressionistischen Winterlandschaften, Tages- und Jahreszeitenzyklen mit Motiven von der Hohen Warte bereicherten auf ideale Weise die oft von Josef Hoffmann und Koloman Moser gestalteten Räumlichkeiten. Molls Impressionen von bevölkerten Wiener Straßen, von der heute nicht mehr vorhandenen Elisabethbrücke, dem Platz vor der Votivkirche und dem Schönbrunner Schlosspark passen in das Ambiente von Arthur Schnitzlers Dramen und in das Milieu der impressionistischen Kurzprosa von Peter Altenberg.
Während der Malaufenthalte im Süden Frankreichs gemeinsam mit dem deutschen Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe in den späten 1920er-Jahren und der ersten Hälfte der 1930er-Jahre entwickelte Carl Moll sein opulentes malerisches Spätwerk, das impressionistischen Augeneindruck mit expressiver malerischer Subjektivität verbindet. Es folgten die kritischen Jahre, in denen er sich – nun schon über 80 Jahre alt – nicht nur offiziell zum Nationalsozialismus bekannte, sondern auch die nationalsozialistische Beraubungspolitik unterstützte. Die Voraussetzungen und Umstände, die zu dieser Haltung geführt haben, zeichnet Bernadette Reinhold in ihrem Beitrag zu diesem Werkverzeichnis nach.
In der Geschichte des Belvedere hat Carl Moll eine wesentliche Rolle gespielt. Bald nach der Gründung der Wiener Secession begann er, sich gemeinsam mit Otto Wagner für eine neu zu schaffende Moderne Galerie, die heutige Österreichische Galerie Belvedere, zu engagieren. Aus den Ausstellungen der Secession vermittelte er prominente Ankäufe für das Museum, wie zum Beispiel Giovanni Segantinis Le cattive madri oder Vincent van Goghs La plaine d’Auvers. Wie bei van Goghs Gemälde erfolgte auch der Erwerb von Claude Monets Le père Paul aus der bedeutenden Impressionismusschau der Secession 1903. Bei der Eröffnung der Modernen Galerie im Belvedere im gleichen Jahr war Molls Naschmarkt neben Werken von Gustave Courbet und Adolf Hölzel ausgestellt. Ankäufe von Gustav Klimt, Carl Schuch und Anton Romako sowie der Erwerb von Monets Pêcheurs dans la Seine à Poissy liefen über die Galerie Miethke, die zu dieser Zeit unter der Leitung Molls stand. Diesen persönlichen Einsatz für das Haus setzte Moll später als Kurator und im Vorstand der Museumsfreunde fort. Mit maßgeblicher Unterstützung von Leihgebern und Donatoren, darunter er selbst, konnte die Moderne Galerie 1929 im Gebäude der Orangerie des Belvedere neu eröffnet werden.
Carl Moll förderte und sammelte auch die junge Künstlergeneration. Mithilfe der Museumsfreunde erfolgte 1927 der Ankauf von Franz Wiegeles Akte im Wald. Das Gemälde Heimsuchung und das Porträt Der Maler Carl Moll von Oskar Kokoschka vermachte er ebenso dem Belvedere wie einige Werke seines Lehrers Emil Jakob Schindler.
Die Erstellung des Werkverzeichnisses Carl Moll als Print- und Onlinepublikation wurde durch das großzügige Sponsoring des Dorotheum ermöglicht. Für diese kontinuierliche Förderung der Forschungsarbeit des Research Center am Belvedere möchte ich meinen großen Dank aussprechen. Nur durch sie konnten seit 2010 in der Reihe der Belvedere Werkverzeichnisse inzwischen neun Catalogues raisonnés zu Josef Danhauser, Hans Makart, Carry Hauser, Franz Xaver Messerschmidt, Marc Adrian, Tina Blau, Otto Rudolf Schatz, Koloman Moser und nun Carl Moll fertiggestellt werden. Mein Dank gilt zudem zahlreichen privaten Sammlerinnen und Sammlern. Unter ihnen ragt der eminente Kenner und Sammler Richard Grubman (1962–2019) heraus, der als gebürtiger US-Amerikaner Herz und Auge für die österreichische Kunst der Moderne entwickelte wie kaum ein Zweiter. Die Entstehung dieses Werkverzeichnisses war ihm ein besonderes Anliegen. Wir würdigen mit der Fertigstellung sein Wirken und gedenken eines außergewöhnlichen Menschen.
Das Bildmaterial für die gedruckte sowie die digitale Publikation wurde durch viele öffentliche und private Sammlungen und Museen, Galerien und Auktionshäuser im In- und Ausland freigiebig bereitgestellt, so von der Sammlung Ortner, dem Wien Museum, dem Leopold Museum, der Albertina, dem MAK – Museum für angewandte Kunst (alle Wien), dem LENTOS Kunstmuseum Linz, dem Van Gogh Museum (Amsterdam), dem Szépmu˝vészeti Múzeum (Budapest), der National Gallery of Canada (Ottawa), dem Germanischen Nationalmuseum (Nürnberg), dem Slezské zemské muzeum (Opava) und vielen anderen. Die Recherche für das vorliegende Werkverzeichnis haben zahlreiche Archive bereitwillig unterstützt, unter ihnen das Künstlerhausarchiv, das Wiener Stadt- und Landesarchiv, das Deutsche Literaturarchiv Marbach, die Handschriftensammlung der Wienbibliothek, das Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, das Archiv der Akademie der bildenden Künste sowie das Österreichische Staatsarchiv. Die Mitarbeiter_innen des Künstlerarchivs am Research Center des Belvedere, Monika Mayer, Katinka Gratzer, Bettina Bosin und Stefan Lehner, unterstützten die Entstehung des Werkverzeichnisses durch wertvolle Ratschläge und die Bereitstellung ergiebigen Archivmaterials. Christian Huemer, Abteilungsleiter des Research Centers am Belvedere, begleitete als Mitherausgeber umsichtig die Entstehung der Publikation. Franz Smola brachte in dankenswerter Weise seine Expertise bei der Erstellung des Werkkatalogs ein. Vor allem gebührt jedoch mein Dank Cornelia Cabuk, die nach anderen bereits erschienenen Werkverzeichnissen auch für das vorliegende verantwortlich zeichnet. Als ausgewiesene Kennerin des Künstlers Carl Moll und seines Oeuvres arbeitete sie im Hauptbeitrag seine stilistische Entwicklung und künstlerische Stellung heraus. Ergänzt werden ihre Ausführungen durch eine Einschätzung Christian Huemers zu Carl Moll als Kulturmanager und Kunsthändler sowie durch die Beleuchtung von Molls kulturpolitischem Engagement durch Bernadette Reinhold. Die Rolle Molls als bedeutender Grafiker der Jahrhundertwende wird durch Gerd Pichler in seinem Beitrag erklärt. Die Expertise des Autors floss auch in das Verzeichnis der Druckgrafik ein. Die grafische Gestaltung für das vorliegende Werkverzeichnis übernahm Ivonne Stark, die Bildbearbeitung führte Manfred Kostal von Pixelstorm durch. Das Publikationsmanagement oblag Eva Lahnsteiner und Sophie Liebau, als Lektor_innen waren Ulrike Ritter und Rainer Just tätig, das Bildarchiv betreuten Carmen Müller, Katharina Wallerits und Elena Krizmanics – ihnen allen gebührt mein Dank.
Stella Rollig
Österreichische Galerie Belvedere, Wien